Literaturbüro Ruhr "Ruhrspott" 9.9. - 4.11.2015
Andrej Kurkow (Kiew), Roman-Lesung & Gespräch mit Gerd Herholz (in deutscher Sprache)
ruhrSpott online
Sogar hinter dem Eisernen Vorhang hatte Jimi Hendrix Fans, und was für welche! Doch nicht nur damals, auch heute gehen in Lemberg, der Vielvölkerstadt im Westen der Ukraine, mehr als merkwürdige Dinge vor sich. Verantwortlich dafür sind die Macht der Liebe, die uferlose Phantasie eines Schriftstellers – und die unsterbliche Musik von Jimi Hendrix. Ein Feuerwerk von unglaublichen und skurrilen Einfällen.
Und dabei ist in Kurkows Roman ‚Jimi Hendrix live in Lemberg' nicht allein von gealterten Hippies die Rede, die sich nachts auf dem Friedhof um ein geheimnisvolles Grab versammeln. Nicht allein vom ehemaligen KGB-Hauptmann, der sich bei den von ihm Bespitzelten entschuldigen will. Auch nicht allein davon, dass in der Wechselstube eine junge Frau mit einer Geldallergie arbeitet, oder vom uralten Opel Vectra, der mit Karacho über das Kopfsteinpflaster rast, um Patienten von Nierensteinen zu kurieren. Nein, in Lemberg gehen weit merkwürdigere Dinge vor sich. Möwen kreisen am Himmel, die Luft riecht salzig: Es scheint, als ob die Stadt, die weit im Landesinnern, in Galizien, liegt, vom Meer heimgesucht würde.
Andrej Kurkow, geboren 1961 in St. Petersburg, lebt seit seiner Kindheit in Kiew und schreibt in russischer Sprache. Er studierte Fremdsprachen, spricht sieben Sprachen, war Zeitungsredakteur und während des Militärdienstes Gefängniswärter. Danach wurde er Kameramann und schrieb zahlreiche Drehbücher. Sein Roman ‚Picknick auf dem Eis' ist ein Welterfolg. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und arbeitet daneben für Radio und Fernsehen.
Von ihm erschien zuletzt auch ‚Ukrainisches Tagebuch. Aufzeichnungen aus dem Herzen des Protests'.
Gerd Herholz ist wissenschaftlicher Leiter des Literaturbüros Ruhr e.V.
Eintritt: 5/7 (Vorverkauf/Abendkasse)
Karten unter: 02 04 3.99 26 44 (Literaturbüro Ruhr)
Reservierung unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Vorbestellte Karten müssen spätestens eine halbe Stunde vor der Veranstaltung an der Abendkasse abgeholt werden!
ruhrspott – Metropolen zwischen Wahn und Witz
Von Gerd Herholz
"Das Ruhrgebiet, der gern so genannte Pott oder Ruhrpott, bringt komische Talente en masse hervor, nur die besten unter ihnen sind auf den Lese- und Kabarettbühnen zu sehen. Viele andere zog es stracks in Politik und Banken, in Verwaltung oder Unternehmensberatung. Dort bringen sie viele Menschen so zum Lachen, wie sie es als Kleinkünstler oder Autoren nie könnten. Man denke nur an jenen einst ganz und gar ernsthaft gedachten Düsseldorfer Werbeagentur-Vorschlag für einen neuen Ruhrgebietsslogan: ‚Ruhr (hoch n) Team-Work-Capital'. Dessen Entwicklung hat viele Hunderttausend Euro gekostet und wurde vom Essener Spardosen-Terzett (mit Wiglaf Droste & August Zirner) auf Youtube aufs Schönste verspottet: spardosenterzett
Alles in allem geht es im Projekt ruhrspott also um Spott aus dem Ruhrgebiet, aber auch um Spott (nicht: Häme!) übers Ruhrgebiet, das dazu überreichlich Anlässe bietet. Denn er fehlt hier überall: der souveräne Umgang mit den eigenen Macken, Schwächen und Eitelkeiten dieser an Mängeln reichen und doch starken Region. Um aber nicht nur komisch im eigenen Satire-Saft zu schmoren, werden auch Literatinnen und Literaten zu Gast sein, die in ihrer jeweiligen deutschen/internationalen, metropolen oder metropopeligen Heimat deren Alltagsleben, menschliche Schwächen, deren Größenwahn und Sonntagsreden aufs Korn nehmen.
Das Schauspielerehepaar Christine Sommer und Martin Brambach wird Texte der Satiriker Michael Klaus und Sigismund von Radecki vorstellen. Fritz Eckenga liest „Mit mir im Reimen. Alle Gedichte und neue", dazu spielt das Spardosen Terzett aus Essen. Frank Schulz aus Hamburg ist mit seinen Romanen über OnnoViets zu hören, dem Irren vom Kiez. Andrej Kurkow („Jimi Hendrix live in Lemberg") kommt aus Kiew. Georg Stefan Troller (Altmeister des Reise- und Interviewjournalismus) reist aus Paris an und wird in der Essener Buchhandlung Proust auch übers Scheitern lächeln können: „Meine Blamagen". Kolumnist Harald Martenstein & Tom Peuckert lesen in Duisburg aus ihrem satirischen Roman „Schwarzes Gold aus Warnemünde", und Büchner-Preisträger Wilhelm Genazino (Frankfurt) erzählt von „Tarzan am Main". Die große Berliner Erzählerin Katja Lange-Müller stellt im Herbst hier ihren neuen Roman vor, und die famose Sophie Rois liest New Yorker Geschichten der geistreich-sarkastischen Dorothy Parker im Ringlokschuppen Mülheim. Bei einer weiteren Ausgabe der „Hate poetry" verspotten Journalistinnen jene ihrer Leser, die eine humane interkulturelle Gesellschaft durch Hass&Häme-Leserbriefe zu verhindern glauben. Deshalb haben wir und das Deutsch-Französische Kulturzentrum (Essen) als Gegengift umgehend Alain Mabanckou eingeladen. Aus dem Kongo stammend hat er lange in Paris gelebt, arbeitet und lehrt heute in Santa Monica/Kalifornien. Über den Anti-Helden seines wunderbaren Paris-von-unten-und-hinten-Romans „Black Bazar" heißt es: „Sie nennen ihn den ‚Arschologen', weil er den Charakter einer Frau an ihrem Po zu erkennen glaubt. Gemeinsam mit seinen Freunden hockt er in einer afrokubanischen Bar im 1. Pariser Arrondissement und fachsimpelt über Gott und die Welt und die ‚B-Seiten' von Frauen. Ihm selber hat sein Wissen wenig gebracht, seine Frau hat ihn verlassen, ausgerechnet für einen Bongospieler. Und so begibt er sich auf die Suche – nach der richtigen Frau und zu sich selbst."
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